Mittwoch, 14. September 2016

Der Mord macht die Musik
Ein Fall für Vera Falck

Schlagerstar überfährt Radfahrer

Diese Schlagzeile könnte Leo King das Genick brechen. Ausgerechnet jetzt, wo er eine neue Tour plant.
Was für ein Glück, dass sein gutmütiger Freund und Bassist Benno sich der Polizei als Unfallfahrer präsentiert.
Also alles gut für Leo King?
Keineswegs.
Denn einige Tage später wird Benno in seinem Studio erschlagen.
Kommissarin Vera Falck und ihr Team blicken bei ihren Ermittlungen tief in die Abgründe der Musikszene Ruhr. Sie erfahren, dass im Schlagerland mit harten Bandagen gekämpft wird und begegnen schillernden Charakteren wie…

… Ricky Wernicke, der mit seinem Talent-Casting in Bennos Studio den Nachwuchs abzockt.
… Mike Groschek, der smarte Musikmanager, der für Leo Kings Tour über Leichen gehen würde.
… Bronco, den einsamen Ruhrpott-Cowboy, der Johnny Cash liebt – und seinen Baseballschläger.
… und natürlich Leo King, der König der Gute-Laune-Lieder. Ist er wirklich nur der nette Schlager-Onkel?


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Leseprobe


Eins
Was für ein Abend! Was für eine Show! Was für geile Bräute. Viel besser als diese gepiercten Teenie-Tussen, die hinter jedem Rapper herliefen. Die Arschgeweih-Ladies mit den angeklebten Wimpern und Fingernägeln. Nein, für ihn ging nichts über eine aufondulierte Bäckereiverkäuferin, Vierzig plus, oder eine von diesen VHS-Kursleiterinnen im Twinset, die sich ansonsten vor ihren Kolleginnen schämten zuzugeben, dass sie bei ihm die Sau rausließen. Weil jemand wie Leo King in ihren Kreisen eigentlich ein No-Go war.
Leo räkelte sich auf dem Fahrersitz des Saab 9-4X, hielt das Lenkrad mit zwei Fingern und gab Gas.
Er war Leo.
Leo König.
Leo, der King.
Leo King.
Headliner bei der Schlagernacht im Tempodrom in Ruhrort. Zusammen mit Onkel Jürgen von Malle, dem Friseur aus Oberhausen und den beiden süßen Blondinen aus dem RTL-Wettsingen. Alle zusammen mit Leo King und seiner Sunshine-Band. Dreieinhalb Stunden Schlagerspaß für alle.
Neben ihm hing Benno auf dem Beifahrersitz und nuckelte an seinem Dosenbier. Benno war ein Kumpel. Ein echter Kumpel. Und das war was anderes als dieses Buddy-Getue mit dem die jungen Leute heutzutage rummachten. Benno Dorfmann war gut, der beste Bassmann, den er kannte. Und der beste Typ am Mischpult. Ja, Benno würde das Livealbum der Tour in seinem Studio abmischen. Der neuen Tour mit der neuen Show. Der Show mit dem neuen Leo.
Die Idee, mit der das Label gekommen war, hörte sich ausgezeichnet an. Kein Retro oder Revival von Leo, sondern ein komplett neuer Leo. Aber immer noch so gut wie der Leo, der mit seiner Sunshine-Show vor fünf Jahren abgeräumt hatte.
Der Junge beim Label, dieser Groschek, der hatte den richtigen Riecher. Und er hatte den richtigen Biss, das spürte Leo. Er mochte Groschek, weil etwas in seiner Art erinnerte ihn an den jungen Leo. Der für fünfzig Mark auf jedem Bürgerfest gespielt hatte, nur um auf der Bühne zu stehen.
Okay, er schaffte es nicht mehr über die ganzen drei Stunden on stage. Aber zwei Stunden reichten auch. Mit der Sunshine-Band im Rücken konnte eigentlich nichts schiefgehen. Er war froh, dass er die Band über die Jahre gerettet hatte. Benno am Bass, Dickie an den Drums, Dorle für die Backgroundvocals und Max als Leadgitarre. Die hatten es drauf, spielten auch noch mit zwei Promille und verbundenen Augen alles rauf und runter, was er im Repertoire hatte.
Schlager. Warum nicht? Dezent angerocktes Pop-Schmusezeug, Songs über schöne Frauen, brennende Herzen, schummerige Sonnenuntergänge. Das mochten die Leute. Immerhin hatte er es mit seinem Schmusehit »Sue, sweet Sue, keine küsst wie du« letztes Jahr nochmal bis in diese komische RTL-Chartshow geschafft.
Leo genoss die Geschwindigkeit, mit der der Saab durch die Nacht glitt, die Scheinwerfer zeichneten helle Bahnen auf den Asphalt. Seine weiße Bühnenlederjacke mit dem Glitzerzeug am Revers schimmerte im Licht der Armaturen.
Yeah!
Was für eine Show!
Dabei war er erst dagegen gewesen. Ein Leo King trat doch nicht mit anderen auf, selbst wenn es eine All-Star-Show war. Aber Mike Groschek hatte ihn schließlich überzeugt. »Du spielst einen Set, fünf Songs«, hatte er gesagt. »Einmal ›Sweet Sue‹, der Rest ist neues Material. Als Test, verstehst du? Für die Tour. Damit die Leute dich schon mal sehen. Damit sie über dich reden.«
»Okay, versuchen wir's!«, hatte Leo am Ende gesagt, und jetzt war er froh, dass er sich hatte überreden lassen. Groschek war zufrieden gewesen und gab ihm nach dem Auftritt High Five. »Das bringt dich nach vorn, Alter!«, hatte er gesagt und sich dann die Presse- und Fernsehtypen vorgenommen, um ihnen die News von der neuen Leo-Tour zu verkaufen. Was dabei herausgekommen war wusste Leo nicht, denn er und die Jungs hatten mit den anderen noch hart abgefeiert, in der Bar im Basement der Halle, die für die Künstler reserviert war.
»Leo again«. Das würde er Groschek morgen als Headline für die Tour vorschlagen. Das klang gut. Als ob Leo nie weg gewesen wäre. Als hätte es die letzten fünf Jahre nicht gegeben, in denen der sich in seinem Haus im Sauerland vergraben hatte. Die Klinik im Allgäu, die beiden Bypässe und die Scheidung von dieser Schlampe, die es hinter seinem Rücken aber vor den Kameras der Gossip-Geier mit diesem Schauspieler getrieben hatte.
Vorbei.
Jetzt: Leo again.
Leo mit der Sunshine-Band, mittlere Hallen, zehn Städte, wenn es gut lief nochmal zehn.
Leo langte zur Mittelkonsole und angelte sich eine neue Dose Bier aus dem Sixpack, das er und Benno von der Aftershowparty aus dem Tempodrom mitgenommen hatten. Es war jetzt halb drei in der Nacht. Der Asphalt schimmert feucht. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass es angefangen hatte zu nieseln. Er riss das Bier auf, trank und reichte die Dose zu Benno rüber.
Er war auf einem Schleichweg unterwegs, rüber in Richtung Dortmund, wo sie noch in einem Schuppen vorbeischauen wollten, der als Geheimtipp gehandelt wurde. Die Autobahn hatte er links liegen gelassen, an den Auffahrten bauten die Bullen in einer Samstagnacht wie heute nur zu gern ihre Alkoholteststation auf.
Alkohol. So was war ganz schlimm für die Karriere. Besonders wenn man erwischt wurde und dann so ein Bulle das auch noch einem Journalisten steckte. Dass er einen wie Leo, den Sunshine-King mit knapp anderthalb Promille angehalten hatte. Das wäre der GAU, das wäre… …
Der Wagen schlingerte auf einmal und Leo blinzelte hektisch, als er realisierte, dass ihm die Augen zugefallen waren. Neben ihm dämmerte Benno, das Kinn auf der Brust. Als Leo den Wagen ruckartig zur Fahrbahnmitte zurücklenkte, schreckte er hoch. »Was…«
»Alles gut, Alter!« Leo hob die Hand, und weil er im gleichen Moment auch noch gähnen musste, bekam er nicht mit, was da auf einmal passierte.
Eine dunkle Gestalt.
Von rechts.
Schneller als ein Mensch, langsamer als ein Reh.
»Pass auf!«, brüllte Benno.
Fahrradfahrer!
Aber da hatte es auch schon gekracht, der Ruck und das Geräusch gingen Leo durch und durch. Er sah erst den Mann und dann das Rad durch die Luft fliegen, und fühlte sich nach vorn geschleudert, bis der Gurtstraffer einrastete und ihn in den Sitz zurückriss.
Stille.




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