Samstag, 20. Juli 2013

Eine alte Affäre


Ein exclusiver Vera Falck-Krimi
Von H.P. Karr

Kommissarin Vera Falck hat Sophie Winter noch erlebt, als die Sopranistin vor einigen Jahren das Opernpublikum begeisterte. Dann hat sich die Sängerin zurückgezogen, um ihre Memoiren zu schreiben. Vera Falck hat am vergangen Dienstag das Fernsehinterview gesehen, in dem sie angekündigt hat, nicht nur über ihre Karriere, sondern auch über ihre Liebesaffären zu erzählen, von denen man immer nur gemunkelt hat, weil sie stets sehr diskret gewesen war. Und heute, am Freitag, als Vera Falck sich schon auf ein ruhiges Wochenende gefreut hat, steht die Kommissarin der Star-Sängerin persönlich gegenüber. Ein Erlebnis, auf das Vera Falck liebend gern verzichten würde, denn Sophie Winter ist tot - ermordet.

»Sie wurde gestern gegen 20 Uhr erstochen«, sagt der Polizeiarzt, nachdem er die Tote eingehend untersucht hat, die vor dem Klavier im Wintergarten des Häuschens liegt. Rund um Sophie Winters Leiche sind mehr als zwanzig Rosen auf dem Boden verstreut. Die Blumen sind verblüht, die Blütenblätter bereits vertrocknet. »Mindestens eine Woche alt!«, bemerkt der Chef der Spurensicherung, während er die Rosen in einem Plastikbeutel verstaut. Dann untersucht er die leere Vase auf dem Klavier. »Darin standen die Blumen, ehe sie über die Leiche geworfen wurden.«

Sophies Haushälterin Hilda Laurentzen wartet blass neben der Tür des Wintergartens. Sie hat die Opernsängerin vor einer Stunde entdeckt und die Polizei gerufen. »Ich kam zwei Mal in der Woche her, um zu putzen«, berichtet sie. »Jeweils dienstags und freitags.«
Heute ist Freitag, und Hilde Laurentzen kann sich nicht daran erinnern, dass ihr bei ihrem Besuch am Dienstag etwas ungewöhnliches aufgefallen ist. »Sophie arbeitete wie gewöhnlich an ihren Memoiren«, berichtet sie. Sie sieht auf die Uhr. »Gleich 11. Dann kommt Linda Karstedt zu ihrer Gesangsstunde. Eine sehr begabte Sängerin und Sophies einzige Schülerin.«

Veras Kollege Weber hat sich im Hauses umgesehen. »Keine Einbruchsspuren, keine Hinweise auf einen Diebstahl«, berichtet er. »Nur das Manuskript ihrer Memoiren auf ihrem Schreibtisch macht den Eindruck, als sei es flüchtig durchgeblättert worden. Auf den letzten Seiten schreibt Sophie etwas von einer leidenschaftlichen Affäre mit einem verheirateten Mann, die sie vor Jahren einmal hatte. Leider nennt die den Mann nur Erwin.«
Die Haushälterin räuspert sich. »Damit meinte sie Erwin Leitmeyer«, sagt sie. »Der Herr Leitmeyer verehrte sie auch noch, nachdem ihre Affäre zu Ende gegangen war. Regelmäßig schickte er ihr Rosen. Jeden Donnerstag kam ein neuer Strauß!«
Vera Falck bittet Weber, Leitmeyer zu holen. Ihr Kollege hat gerade das Haus verlassen, als Linda Karstedt eintrifft. Sophies Schülerin ist 23 und außerordentlich attraktiv. Entsetzt starrt sie auf die Leiche der Sängerin. »Oh mein Gott!«, flüstert sie.

»Fiel Ihnen bei der Unterrichtsstunde am vergangenen Freitag etwas auf?, fragt Vera Falck.
Linda muss nicht lange überlegen: »Nach dem Unterricht las sie mir ein paar Passagen aus ihren Memoiren vor, weil sie meine Meinung dazu hören wollte. Sie war sich nicht sicher, ob sie den verheirateten Mann, mit dem sie einmal eine Affäre hatte, mit vollem Namen nennen solle. Ich habe ihr davon abgeraten. Doch sie war der Auffassung, dass es ein Gebot der Ehrlichkeit sei, den Namen zu nennen, obwohl der Mann, um den es ging, das wohl mit allen Mitteln verhindern wollte.«

Kurz darauf kommt Weber mit Erwin Leitmeyer zurück, einem Mittfünfziger, der eine hohes Amt in der Stadtverwaltung inne hat. Leitmeyer schluckt, als er Sophies zugedeckte Leiche sieht. »Schrecklich!«, murmelt er. »Ich habe sie einmal so sehr geliebt.«

»Herr Leitmeyer hat leider kein Alibi für die Tatzeit«, sagt Weber trocken.
Und Vera Falck meint: »Ich denke, Herr Leitmeyer hat Sophie gestern getötet, um zu verhindern, dass sie ihre alte Affäre in ihren Memoiren enthüllte.«
Was ist Vera Falck aufgefallen?


Lösung: Erwin Leitmeyer schickte Sophie jeden Donnerstag einen Rosenstrauß. Als man Sophie am Freitag tot fand, waren die Rosen bei ihrer Leiche eine Woche alt. Leitmeyer hatte ihr also tags zuvor keine neuen Blumen geschickt - weil er wusste, dass der Strauß einer Toten gegolten hätte.
(Copyright: by author)


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H.P. Karr
Vera Falck ermittelt
30 Rätselkrimis aus dem Revier
182 Seiten
Messkirch: Gmeiner, 2013
ISBN-10:
3839213703
ISBN-13: 978-3839213704

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