Mittwoch, 25. Dezember 2013

Der Komplize

Ein exklusiver Vera Falck-Ratekrimi

Von H.P. Karr

Kommissarin Vera Falck und ihr Kollege Weber könnten diesen Abend in Pietros Pizzeria mehr genießen, wenn sie nicht dienstlich hier wären. Pietro Pamoro hat sich gestern an die Kommissarin gewandt, weil er vor zwei Tagen Besuch von der osteuropäischen Mafia bekommen hat. 500 Euro Schutzgeld verlangt man von ihm. Wöchentlich. »Die Kerle haben mich davor gewarnt, zur Polizei zu gehen!«, hat Pietro gesagt. »Angeblich würden sie das sofort mitbekommen.«
Heute soll Pietro zum ersten Mal bezahlen. Außer Vera Falck und ihrem Kollegen Weber sind nur noch drei andere Gäste in der Pizzeria.

»Ob einer von denen etwas mit den Erpressern zu tun hat?«, fragt Weber leise.
»Kann sein – kann auch nicht sein«, murmelt Vera Falck ebenso leise zurück und sieht sich die Gäste genauer an. Ein älterer Mann, der an einem Einzeltisch am Fenster ganz in die ›Tageszeitung vertieft ist. Und ein junges Pärchen, das bei einer Flasche Wein verliebt turtelt.
»Was darf ich Ihnen bringen, Frau Kommissarin?«, fragt Sandro, der Kellner. Er ist die Diskretion und die Liebenswürdigkeit in Person, die Seele von Pietros Pizzeria.
»Für mich einmal Spaghetti all Arrabiata«, bestellt Vera Falck.
»Und einmal Pizza mit Meeresfrüchten für mich«, sagt Weber.
»Sehr wohl!« Sandro notiert sich die Bestellung. Gleich darauf registriert Vera Falck, wie Sandro hinter dem Tresen eindringlich auf Pietro einredet, der gerade Webers Pizza mit Meeresfrüchten belegt.
Dann kommt Pietro an den Tisch, um die Getränke zu servieren. »Sandro meint, es sei sehr dumm von mir, dass ich die Polizei eingeschaltet habe«, sagt er leise. »Er sagt, bei anderen Lokalen seien die Mafiosi immer dahintergekommen, wenn die Polizei mit von der Partie war. Dann wurden die Lokale kurz darauf demoliert!«

»Das wird hier nicht geschehen!«, verspricht Vera Falck. »Sobald die Geldeintreiber auftauchen, gebe ich dem SEK draußen den Befehl zum Zugriff.«
Der Gast am Fenstertisch greift plötzlich zu seinem Handy und dreht sich bei dem Anruf, den er macht, demonstrativ von der Kommissarin und ihrem Begleiter weg. Was er sagt, kann Vera Falck nicht verstehen, denn der Mann spricht sehr leise. Das Telefonat dauert nicht lange.
Webers Aufmerksamkeit gilt dagegen mehr dem Liebespärchen. Er macht Vera Falck darauf aufmerksam, wie die junge Frau unterm Tisch mit ihrem Handy heimlich eine SMS verschickt.
Pietro schiebt unterdessen Webers Pizza in den Ofen, und Sandro gießt das Dressing über die Salate, die zur Bestellung der Kommissarin und ihres Kollegen gehören.
Da geht die Tür auf, und zwei Kerle in Lederjacken kommen herein. Breitbeinig und sehr durchtrainiert.  Das sind die Mafiosi, kein Zweifel. Einer geht zu Pietro, der andere steuert schnurstracks auf die Kommissarin und ihren Kollegen zu.
»Sie erlauben?« Er setzt sich. Sein Blick ist kalt. »Wir hatten Pietro davor gewarnt, die Polizei zu verständigen!«, sagt er. »Wir kennen Sie jetzt, Frau Kommissarin. Heute geschieht Ihnen nichts – essen Sie Ihre Spaghetti und verschwinden Sie mit Ihrem Kollegen. Beim nächsten Mal wird unsere Begegnung nicht so glimpflich verlaufen!«
»Eine nächste Begegnung wird es nicht geben!«, sagt Vera Falck und gibt über Funk den Einsatzbefehl für das Sonderkommando. Bewaffnete Polizisten stürzen herein und setzen die beiden Männer fest.
»War das klug?«, fragt Weber überrascht. »Wir wissen nicht, wer aus der Pizzeria den Gangstern mitgeteilt hat, dass wir auf sie warten.« Er schaut zu dem Mann am Fenster und dem Liebespärchen, die während der ganzen Aktion von den Spezialpolizisten an ihren Plätzen festgehalten worden sind.
»Aber es ist doch ganz klar, wer den Bulgaren gesagt hat, dass wir hier sind!«
Wer?

Lösung: Die Gangster sind von Sandro, dem Kellner, gewarnt worden. Denn der Gangster sagt, Vera Falck solle in Ruhe »ihre Spaghetti essen«. Dass die Kommissarin Spaghetti bestellt hat, kann nur Sandro wissen – und hat es an seine Komplizen weitergegeben.

(Copyright: by author)





Mehr Ratekrimis mit Vera Falck in:
H.P. Karr
Vera Falck ermittelt
30 Rätselkrimis aus dem Revier
182 Seiten
Messkirch: Gmeiner, 2013
ISBN-10: 3839213703
ISBN-13: 978-3839213704

Freitag, 13. Dezember 2013

EIN FALL FÜR KOMMISSARIN VERA FALCK


Sein letzter Besuch

Ein exclusiver Vera Falck-Ratekrimi
Von H. P. Karr

Kommissarin Vera Falck ist sich absolut darüber klar, dass Lilly Neumann sie aufmerksam beobachtet. Im Wohnraum der schicken Villa hier im Südviertel herrscht konzentrierte Spannung. Wie immer, wenn die Leute von Mordkommission und Spurensicherung im Einsatz sind.

Der Tote vor dem Schreibtisch am Fenster ist mit einem Laken verhüllt. Nach der ersten Untersuchung durch den Rechtsmediziner gibt es keinen Zweifel, dass Leo Jordan vor knapp 30 Minuten an einer Kugel aus der Pistole gestorben ist, die gerade von den Spurensicherern fotografiert wird. Die Waffe liegt direkt neben der Leiche, etwa in Höhe von Leos rechter Hand.

»Auf dem Abzug der Waffe haben wir einen Abdruck von Jordan gefunden«, berichtet der Chef der Spurensicherer. »Und zwar des rechten Zeigefingers.«

Veras Kollege Lorentz hat mitgehört. »Demnach könnte stimmen, was Lilly Neumann ausgesagt hat«, meint er leise.

Lilly Neumann gehört eine Restaurantkette. Und Leo Jordan ist bis vor kurzem einer ihrer Restaurantleiter gewesen. Vor sieben Tagen hat Lilly ihn gefeuert.

Nach Lillys Aussage ist er heute unvermittelt hier bei ihrem Privathaus aufgetaucht ist, um ein Gespräch über seine Entlassung zu erzwingen.

»Versuchen Sie einmal, etwas mehr über Jordan herauszubringen«, sagt Vera zu ihrem Kollegen und wendet sich dann an Lilly Neumann.
»Sie sagen also, Jordan habe verlangt, dass er wieder als Restaurantleiter eingestellt wird?«, fragt sie.

Lilly Neumann, elegant, Mitte fünfzig, mit stahlhartem Blick, nickt. Sie ist sehr gefasst. »Er drängte mich ins Haus, redete auf mich ein und holte sofort seine Pistole heraus«, sagt sie. »Er wirkte sehr verzweifelt, fuchtelte mit der Waffe herum und behauptete, ich hätte sein Leben zerstört. Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber es war einfach nicht mit ihm zu reden. Als ihm klar wurde, dass er mit seinem Besuch nicht erreichen würde, was er wollte, wurde er noch aggressiver. Er stürzte mit der Waffe auf mich zu. Ich versuchte ihn abzuwehren, und dabei löste sich der Schuss, der ihn in die Brust traf. Er muss während des Kampfes den Abzug unbeabsichtigt durchgezogen haben.«

»Haben Sie denn jemals zuvor persönlich mit Jordan zu tun gehabt?«, fragt die Kommissarin.

»Ich kannte ihn nicht persönlich«, versichert Lilly Neumann. »Seine Entlassung wurde mir von meinem Abteilungsleiter Kundenzufriedenheit nahegelegt, weil Jordan sein Restaurant nachlässig führte. Die Entlassung habe ich ihm in einem Brief mitgeteilt. Danach schickte er E-Mails und Briefe an mein Büro, aber mein Sekretariat hat ihm immer geantwortet, dass es bei seiner Kündigung bliebe. Irgendwie hat er sich dann meine Privatadresse verschafft und stand heute hier vor der Tür.«

Die Kommissarin sieht zu, wie der Tote in einem Transportsarg hinausgebracht wird. Bis jetzt kann sie Lilly Neumann nicht nachweisen, dass sie lügt. Lilly hat vorhin selbst die Polizei verständigt und ist seitdem in keinem Detail von ihrer Aussage abgewichen, dass Jordan sich selbst mit einem Schuss aus der Waffe getötet hat, mit der er auf sie losgestürzt ist. Die Tat eines verzweifelten Menschen, der seinen Arbeitsplatz verloren hat. Doch als Veras Kollege Lorentz mit seinen Ermittlungsergebnissen zurückkehrt, bekommt die Sache eine ganz neue Wendung.

»Jordan war bei seinen Kollegen nicht sonderlich beliebt«, sagt Lorentz. »Dauernd sprach er davon, gegen Lilly Neumann vorzugehen, weil sie seiner Meinung minderwertige Lebensmittel verarbeiteten ließ und ihr Personal ausbeutet. Angefangen hat alles mit einem Arbeitsunfall vor einem Jahr, als dessen Folge bei ihm Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand steif geblieben sind.«

Kommissarin Vera Falck sieht Lilly Neumann an. »Sie haben mich belogen!«, sagt sie. »Jordan hat sich nicht selbst erschossen. Sie waren es und haben die Tat als tödlichen Unfall tarnen wollen.«
Was meint sie?

Lösung: Jordans Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand sind nach einem Unfall versteift geblieben. Damit hätte er den Abzug der Pistole nicht bedienen können, aus der der Todesschuss abgegeben worden ist.

(Copyright: by author)



Mehr Ratekrimis mit Vera Falck in:
H.P. Karr
Vera Falck ermittelt
30 Rätselkrimis aus dem Revier
182 Seiten
Messkirch: Gmeiner, 2013
ISBN-10: 
3839213703
ISBN-13: 978-3839213704